Mit perfektem Schwung: das Flammen von Keramik
Das Flammen geht auf eine lange, ehrwürdige Tradition zurück: Erste Funde aus der Gegend um Gmunden, wo die typische Dekortechnik einst entstand, stammen bereits aus dem Jahr 1600. Bis heute lehrt Gmundner Keramik das geschichtsträchtige Handwerk, bei dem charakteristische Muster aus Schleifen, Streifen und Wellen auf Geschirr und Dekogegenstände aufgebracht werden. 2021 wurde das Flammen von Keramik zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO ernannt.
Geschick und Augenmaß
Angesetzt wird an der Unterkante des Tassenbauchs: Nach vorne und gleich wieder nach hinten gleitet die Hand und zeichnet dabei die unverkennbaren Bänderungen. Die zügige Technik ist entscheidend, um keine zittrigen Linien zu zeichnen. Um den perfekten Schwung zu erhalten und mitzunehmen, wird die Linie auch nach dem Dekorieren noch weitergezogen. Es folgt eine gekonnte Handbewegung nach oben, ein kurzes Lösen des Daumens, dann wird die Tasse in der Luft geschwungen, gedreht und die Verzierung der zweiten Hälfte beginnt – in perfektem Abstand und ausschließlich nach Augenmaß. Das Aufspritzen der sämigen Farben in der jeweiligen Verzierung erfolgt auf bereits vorgebrannte und glasierte Keramikstücke. Ist das händische Dekorieren abgeschlossen, warten die wertvollen Unikate schließlich darauf, abermals und endgültig gebrannt zu werden.
Jahrhundertealtes Handwerk
Österreich zeichnet sich durch eine reiche und ausgeprägte Keramiktradition aus. Bereits im Mittelalter gab es in der Traunseeregion eine große Anzahl von Hafnerwerkstätten, und schon damals trugen die Hafner mit Malhörnern in einem bestimmten Rhythmus Farben auf Tonschüsseln auf. Um 1600 etablierte sich schließlich ein Muster, das durch farbige Punkte und Flecken auf weißer Bleiglasur eine Art Marmoreffekt erzielte. Ein gutes Jahrhundert später hatte sich eine dunkelgrüne Bänderung durchgesetzt, die in Verbindung mit dem weißen Glasurgrund bis heute angewandt wird. Gerade Gmundner Geschirrmacher fertigten und vertrieben dieses sogenannte Grüngeflammte eifrig: Sie verschifften ihre Erzeugnisse über die Traun bis nach Wien – und begründeten so eine über 300-jährige Kulturtradition.
Vier Flammerinnen bewahren die Tradition
Aktuell wird die Flammtechnik nur noch von vier Frauen aus Oberösterreich ausgeführt, die in der Gmundner Keramikmanufaktur in Gmunden beschäftigt sind. Praktiziert wird nach wie vor in reiner Handarbeit. Jede Flammerin hat hierbei ihren persönlichen Stempel: Anhand der individuellen Buchstaben an der Unterseite lässt sich so feststellen, wer das jeweilige Stück gestaltet hat. Die Ausübung ihres Handwerks bedeutet für die Flammerinnen nicht nur, ein jahrhundertelang überliefertes Wissen zu erhalten, sondern auch, es behutsam weiterzuentwickeln – um es irgendwann einmal an die nächste Generation weiterzugeben.
Einzigartig und zeitlos
Bei Gmundner Keramik werden derzeit über 900 verschiedene Artikel geflammt. Dazu zählen Tassen und Becher, Teller, Kannen und Schüsseln, aber auch Accessoires wie Vasen und weitere Dekoobjekte. Die klassischen Motive und Muster – Schleifen oder Schlingen, Streifen, Wellen, Kreise und Bögen – können dabei beständig variiert und erweitert werden, wie die minimalistisch gehaltenen Gmundner-Kollektionen „Weißgeflammt“ oder das „Pur Geflammte“ beweisen. Auch verschiedene Farbtöne und Farbkombinationen garantieren immer wieder moderne Interpretationen des zeitlosen Designs, beispielsweise durch eine Kollektion in besonders lebendigen, leuchtenden Regenbogenfarben.
Immaterielles Kulturerbe Flammen
Im Mai 2021 wurde das Flammen von Keramik schließlich dem immateriellen Kulturerbe der UNESCO hinzugefügt. Unter dem Begriff „Immaterielles Kulturerbe“ werden seit 2003 vielfältige gelebte Traditionen aus aller Welt von der UNESCO dokumentiert und geschützt. Ob darstellende Kunst, Bräuche, Feste, Naturwissen oder Handwerkstechniken: Alle diese Kulturformen werden stets von menschlichen Wissensbeständen und einer Vielfalt von Fertigkeiten getragen. Durch die Sichtbarmachung solcher Bräuche und Praktiken kann ein neues Verständnis für regionale Besonderheiten entstehen, was nicht zuletzt einen wertvollen Beitrag für deren Zukunft leistet. Im Falle des Flammens von Keramik bedeutet das, die Schönheit einer jahrhundertealten Dekortechnik zu bewahren – und damit ein echtes Stück Österreich.